Rhodos Journal


Das himmlische Leben erahnen

Wer je die Kirche im Katharinenkloster mitten auf dem Sinai am Fuß des Mosesberges besucht hat, wird sie nie mehr vergessen: Diese unzähligen, uralten Ikonen, all die vielen Leuchten aus Gold, die den Glanz zahlloser Kerzen spiegelnd im Raum verteilen, Kostbarkeiten aus aller Herren Länder, wohin man schaut. Und dieser Duft von Weihrauch, der im Raum liegt! Wer diese Kirche nicht nur besucht während der Touristenzeit, sondern an einem Gottesdienst teilnimmt, der fühlt sich hineingenommen in ein heiliges Geheimnis, auch ohne den Gesängen Wort für Wort folgen zu können.

Was im Katharinenkloster auf besonders intensive Weise erfahrbar wird, ist jedoch letztlich jeden Sonntag in jeder orthodoxen Kirche zu erleben: Die offene Kirchentür lädt ein, die Welt des Alltags hinter sich zu lassen und in eine andere Welt einzutreten; die Tür zum Himmel steht offen. Orthodoxe Kirchen sind so etwas wie die Vergegenwärtigung des Himmels: Jesus Christus, der Allherrscher, Maria, seine Mutter, die Allheilige, oft dargestellt als Lebensquell, die Heiligen, allen voran die Apostel und Propheten, die im Bild auf geheimnisvolle Weise gegenwärtig sind, sie alle holen den Himmel auf die Erde.

Dieser Kirchenraum, der darum nicht kostbar genug geschmückt sein kann, mit goldenen Leuchtern und Zierrat jedweder Art, in dem es duftet nach Weihrauch, er ist so etwas wie eine Enklave des Himmels auf Erden. Und die Liturgie, die gefeiert wird, ist ein Abbild der Liturgie, die beständig im Himmel gefeiert wird: "Himmlische Heere der Cherubim stellen wir im mystischen Geheimnis dar. All irdisch Sinnen und Trachten wollen wir abtun. Denn wir wollen den König des Alls empfangen, den die Engel unsichtbar im Triumph geleiten, halleluja", so singt der Psaltis beim Großen Einzug.

Soviel Nähe des Himmels mag überwältigen, und dann wirft sich der Mensch am liebsten auf den Boden, um sich selbst so klein zu machen, wie er sich fühlt. Und wer den Mund öffnet, der ruft vor allem: "Kyrie eleison, Herr, erbarme dich unser!", unzählige Male, im Bewußtsein der eigenen Erbärmlichkeit vor dem unendlich großen Gott. Und hört immer neu tief bewegt die Worte : "Denn du bist ein gütiger und Menschen liebender Gott, dir senden wir den Lobpreis empor.." Wirklich: ein gütiger, Menschen liebender Gott, ein Gott, der sich gern erbarmt. Ein Gott, der angerufen werden will, der gern seinen Himmel öffnet mit einer Tür zur Erde, damit wir schon etwas ahnen von der ewigen Freude, die auf uns wartet..

Manchmal kann es freilich auch sein, daß einem Menschen so viel Nähe zum Himmel eher zuviel ist, er kann sie nicht lange ertragen, er küßt die Ikone und zündet eine Kerze an, aber dann möchte er doch wieder hinaus. Wer kann schon bestehen vor dem Blick des Allherrschers? Lieber nicht heraustreten aus der großen Schar derer, die nur eben einmal einen Blick hineinwerfen in den himmlischen Hochzeitssaal, aber dann doch lieber sich sozusagen zurückziehen in den Alltag, als mitten unter den Cherubim und Seraphim zu schweben. Darum müssen ja auch die Priester, die beständig in diesem geheiligten Raum sich bewegen, einige ganz besondere Vorschriften in ihrem Lebensalltag beachten, um würdig zu sein, wenigstens annähernd würdig...

Es mag ein wenig so sein, wie der Erzvater Jakob es erlebte, als er im Traum die Himmelsleiter schaute: "Führwahr, der EWIGE ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes, hier ist die Pforte des Himmels" (1.Mose 28,16f).

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